
Im Spiel begriffen
Ein Mann steht auf einer Bühne. Mit unerbittlichem Gesichtsausdruck richtet er die Waffe auf imaginäre Gegner, brüllt Kommandos auf Spanisch
. Wenige Augenblicke später ist das Gewehr ein Vorhang, dann eine Kopfbedeckung, dann ein Paar Handschellen. Das unscheinbare graue Tuch, sein einziges Requisit, verkörpert noch verschiedenste andere Gegenstände, der Mann, der selbst in verschiedene Rollen schlüpft, weiß sie alle zu materialisieren.
Als die Vorstellung vorbei ist, gibt es lang anhaltenden Applaus im vollbesetzten Theater am Lend. Hector Aristizabal, der Mann des Abends, verbeugt sich und stellt gleich einmal fest: „Was ihr gerade gesehen habt, ist Theater, nicht alles ist so passiert.“ Das mag sein, dennoch ist anzunehmen, dass sich der Kolumbianer die Emotionen, die er in dem Stück gezeigt hat, nicht aus den Fingern saugen musste. Es war ein Theaterstück über Folter, und auch Hector Aristizabal wurde gefoltert. Sein Bruder ist wirklich durch die Hand des Regimes gestorben, und Kolumbien war wirklich der Hexenkessel, als der es beschrieben wird.
Das Theaterstück bildet den Auftakt zu einem dreitägigen Workshop, der zum Ziel hat, gesellschaftliche Probleme mit Theaterübungen zu lösen. Das Konzept ist nicht neu, die Methoden gehen zurück auf Augusto Boal, der in den 1970er-Jahren das sogenannte Theater der Unterdrückten (und den Teilbereich Forumtheater) entwickelt hat. Wie geht das nun konkret?
Maschinenbau
Nächster Tag, Workshopbeginn. Erst einmal locker werden. Die über 20 TeilnehmerInnen, viele von InterAct, machen sich miteinander bekannt. Aristizabal versprüht Charisma, die Workshop-TeilnehmerInnen kriechen auf dem Boden herum und imitieren unter anderem Affen und schreiende Babys. Den dadurch entstehenden Nutzen vorerst nicht hinterfragend, krieche und schreie ich mit. Noch einige solche Übungen werden folgen, bevor man sich konkreten Problemen zuwendet.
Dann, nachdem man eingestimmt ist, bauen wir Maschinen. Aus Menschen. Beispiel: „Create the machine of torture.“ Soll heißen, jemand stellt sich in die Mitte und macht eine Bewegung und ein Geräusch, das für ihn/sie zum Prozess der Folter gehört. Und jede(r), dem/der etwas dazu einfällt, stellt sich dazu. Die wegschauende Regierung, der Gefolterte, die Schaulustige etc. Die Dynamik einer solchen aus zehn oder mehr Menschen bestehenden Maschine ist faszinierend. Mehr als eine Darstellung des Ist-Zustandes ist das natürlich nicht. Mal sehen, was der zweite Tag bringt…
Man kann sich nur selbst ändern
Jetzt wird´s konkret
. So konkret, dass man sich speziellen persönlichen Problemen zuwendet. Aristizabal bittet einige Workshop-TeilnehmerInnen, eine Konfliktsituation aus ihrem Leben von zwei anderen, vorher instruierten Personen, darstellen zu lassen. Die „SchauspielerInnen“ werden über Charakterzüge, Eigenheiten, Diskussionsstrategien der Handelnden aufgeklärt. Dann kann sich die Person, die der Konflikt betrifft, von außen anschauen, wie er eigentlich abläuft. Dabei fällt einem schon mal einiges auf, was man nicht sieht, wenn man mitten drin steckt.
Anschließend wird ein sogenannter „Regenbogen der Gefühle“ erzeugt. Wer in der handelnden Person ein Gefühl entdeckt, das ihn/sie so handeln lässt, wird Teil der Szene und stellt dieses Gefühl dar. Angst vor Ablehnung, Hass, Gemocht-werden-Wollen, Abgrenzung…. Die Szene wird danach erneut gespielt, jetzt drängt nicht nur ein Mensch auf den anderen ein, sondern auch sämtliche seiner Gefühle einzeln. Für die Zuschauer ergeben sich nun verschiedene Handlungsmöglichkeiten, um den Ausgang der Szene für alle Beteiligten zu verbessern. Bestimmte Gefühle stärker in den Vordergrund rücken, andere weiter weg. Sich Unterstützung holen, herausfinden, was man denn eigentlich erreichen möchte. Im Mittelpunkt steht immer die Devise, dass der Protagonist der Diskussion immer nur sich selbst ändern kann, niemals den „Konfliktpartner.“ Klingt nicht so leicht verständlich, funktioniert aber gut. Am Ende haben die betroffenen Workshop-TeilnehmerInnen durch die dargestellte „Konfliktshow“ eine Möglichkeit gefunden, effektiv damit umzugehen.
Ähnlich verläuft der dritte Workshoptag. Lösungsansätze für den Weltfrieden wurden zwar keine eruiert, auch keine Strategien gegen folternde Regierungen. Obwohl Aristizabal betonte, dass man die soeben gelernten zwischenmenschlichen Lektionen auch auf politischer Ebene anwenden könne. Zum Abschluss griff der Kolumbianer zur Djembe-Trommel und klopfte mit beindruckender Virtuosität eine Geschichte des Zusammenhaltes und des Mutes in die Köpfe der Workshop-TeilnehmerInnen. Ein spannender Mensch, eine spannende Art, Konflikte zu lösen. Ein Workshop mit viel Bewegung und Geschrei und einigen Einsichten.