
Die Snowden-Affäre
Wer was über wen weiß und warum wir das nicht wissen sollen ist grundsätzlich ja schon eine interessante Frage, aber wenn der Wiener Flughafen in dem dadurch ausgelösten internationalen Schlagabtausch noch Nebenschauplatz wird, bekommt die Sache zusätzlich Gewicht
. Endlich wieder einmal darf sich Österreich diplomatischer Wichtigkeit erfreuen und wir fühlen uns alle maßgeblich wie zu Kreiskys Zeiten.
Doch wenn der Zug abgefahren, heißt, wenn die bolivianische Präsidentenmaschine wieder in der Luft ist, bleibt die Frage: Was soll das alles?
Wieder mal die USA
Die NSA (National Security Agency) ist einer der einflussreichsten Geheimdienste der USA und für die Beschaffung, Überwachung und Auswertung elektronischer Informationen zuständig.
Dazu gibt es einige streng geheime Programme, wie zum Beispiel PRISM, das uneingeschränkten Zugang auf sämtliche gespeicherten Informationen gewisser Internetdienste hat, darunter Facebook, Google, Apple und Microsoft
. (Die Dienste dementieren dies vehement.)
Naja, wenn man ehrlich ist, ist das jetzt nicht die große Neuigkeit, dass die USA unsere Daten überwachen. Sollte hinlänglich bekannt sein, erregt ein müdes Schulterzucken bei uns Internetmenschen, und ja, „arg ist´s schon, aber kann man eh nix machen…“
Dass wir jetzt genauere Informationen darüber haben, verdanken wir einem gewissen Edward Snowden, einem Ex-Mitarbeiter der NSA. Dieser konnte es laut einem auf Youtube veröffentlichten Interview nicht mehr mit seinem Gewissen vereinbaren, Wissen über solche Überwachungsprogramme zu besitzen und es nicht der Öffentlichkeit preiszugeben. Er handelt aus Überzeugung und steht zu seinem Kampf für die Privatsphäre.
Die USA sehen das freilich anderes, sie haben gegen Snowden einen Haftbefehl wegen Spionage erlassen. Dessen Flucht, zuerst nach Hongkong, dann weiter nach Moskau, führte zu einem Zwischenfall in Wien, der die Medienaufmerksamkeit von der eigentlichen skandalösen Enthüllung auf den boulevardjournalistisch viel ergiebigeren „Agentenkrimi“ lenkte:
Europa springt
Während er am Moskauer Flughafen festsaß, suchte Snowden in über 20 Ländern um Asyl an, darunter auch Bolivien. Unabhängig davon befand sich Boliviens Präsident Evo Morales zu dieser Zeit in Moskau. Bei seinem Rückflug über Europa versagten ihm Spanien, Frankreich, Italien und Portugal kurzerhand die Überfluggenehmigung, weil sie Snowden an Bord vermuteten. Die Maschine musste in Wien zwischenlanden, wo sie durchsucht wurde. Der “Whistleblower“ war nicht an Bord.
Heißt also, EU-Länder verhindern den Weiterflug einer Maschine, die vielleicht den Mann an Bord hat, der öffentlich machte, dass nicht nur Privatpersonen weltweit, sondern auch EU-Institutionen durch die USA überwacht werden. Der Mann, der sein Leben riskiert, um die Welt über das Ende der Privatsphäre zu informieren, wird als lästig empfunden, könnten doch die Beziehungen zu den USA wegen ihm leiden.
Doch auch eine politische Empörung über die Abhörmethoden hat eine gewisse Scheinheiligkeit, denn wie nach und nach bekannt wird, verwenden die Geheimdienste in England, Frankreich, Deutschland und in sicher noch etlichen anderen Ländern beinahe die gleichen Methoden und arbeiten teilweise mit der NSA zusammen. Wer glaubt, dass BürgerInnen-Ausspitzeln ein rein amerikanisches Phänomen ist, liegt falsch.
Die Brüsseler Empörung über den Bündnispartner aus Übersee besteht nun aber darin, dass er nicht nur Hand in Hand mit der EU das Europäische Volk, sondern noch dazu die EU selbst und ihre Machthaber ausspioniert. Unerhört, wo bleibt denn da das Vertrauen?
Im Dienste der Sicherheit
Geheimdienste aus aller Welt haben schon immer Informationen gesammelt, es ist ihre Aufgabe und Existenzgrundlage. Geheimdienste sind dazu da, den Staat gegen äußere und innere Feinde zu schützen und ihm einen Vorteil gegenüber anderen Staaten zu verschaffen. Das gehört zur Landesverteidigung, und es kann auch zu Deeskalation beitragen, wenn man über die Pläne der anderen Nationen Bescheid weiß. Durch das Internet bekommen Geheimdienste aber eine nahezu unbeschränkte Macht, nicht nur über Staaten, sondern über jeden einzelnen Menschen. Durch den westlichen Antiterrorkrieg wird jede Einzelperson als Bedrohung angesehen und muss durchleuchtet werden. Ins Visier kommen, kann jeder und jede.Die „Wenn ich nichts getan habe, kann mir eh nichts passieren“ Aussage gilt nicht (mehr). Ein falsch verbundener Anruf einer überwachten Person, und alles, was du jemals (online) gesagt oder getan hast, wird auf Verdächtiges überprüft. Und wer mit genug Möglichkeiten suchet, der findet fast immer.
Das vollständige Ende der Privatsphäre wird nicht auf einmal kommen, sondern Stück für Stück. Wir müssen jeden weiteren Schritt in Richtung Überwachungsstaat und –welt bekämpfen, so gut wir können. Und auch wenn der Aktionsradius Einzelner auf diesem Gebiet sehr beschränkt ist, würde es schon helfen, wenn jeder einmal darüber nachdenkt.
Was bleibt?
Mehrere lateinamerikanische Staaten gewährten Edward Snowden Asyl. Laut neuesten Informationen hat er sich für Venezuela entschieden.
Die Snowden-Affäre wird vergessen werden, wir werden weiter unser Leben immer mehr ins Internet verlagern, das Menschenrecht auf Privatsphäre weiter aushöhlen lassen und uns irgendwann, ganz vielleicht, an den Rück-grätchen der EU verschlucken.