Kenne deine Rechte

Sonntag Abend, 19 Uhr, Gezi Park/Istanbul.


TürkInnen, KurdInnen, ArmenierInnen, Homosexuelle, Transsexuelle – alle unter einem Zelt. Sie singen und tanzen zur selben Musik, essen und trinken vom selben Tisch. Nie hätte ich mir gedacht, dass so etwas in einem Land, geprägt vom Islam, passieren wird. Wenn man in einem Staat wie Österreich lebt, wo das Bekenntnis zur Neutralität eines der Hauptmerkmale ist, glaubt man zu wissen, was Frieden ist. Doch das, was hier geschieht, ist der eigentliche Frieden.

Mit einem Lächeln schaue ich mich um. Das Volk hat sich zusammengeschlossen und will dasselbe
. Meine Gedanken werden von einer plötzlichen Stille unterbrochen. Kurz darauf schreien alle die Protestrufe: „Taksim ist überall und überall gibt’s Widerstand“, „Schulter an Schulter gegen Faschismus“. Da kommt man wieder zu sich und erinnert sich, warum sich über 10 000 Menschen hier versammelt haben.

Eine kleine Besetzung war der Anfang

Am 27. Mai begann man mit den Bauarbeiten in diesem Park. Man wollte die Bäume abreißen und ein Einkaufszentrum bauen. Strikt dagegen waren der Interessenverband Taksim Dayanisma Bilesenleri Platformu und NaturliebhaberInnen, sie bauten Zelte auf und begannen dort zu campen. Leute saßen zusammen, lasen Bücher, sangen Lieder und demonstrierten auf eine friedliche Art und Weise, der ich bisher nie begegnet war. Insgesamt waren es keine 60 Personen, die dort campten. Die Polizei jedoch wählte die gewaltvolle Methode, sie aus dem Park „zu verjagen“. Sie attackierten die DemonstrantInnen mit Tränengas, Pfefferspray und Wasserwerfern. Nach ihrem Erfolg sperrten sie den Park und den Taksim-Platz ab. Da begann die eigentliche Geschichte.

Am nächsten Tag war es unmöglich von einem Punkt zum anderen zu kommen, ohne Tränengas einzuatmen. Die öffentlichen Verkehrsmittel zum Stadtzentrum, wo sich auch der Park befindet, wurden lahmgelegt. Dies ging zwei Tage so weiter. DemonstrantInnen wollten zum Taksim-Platz, aber die Polizisten hielten sie auf und schreckten sie zurück mit Tränengas und Wasserwerfern. Am 1. Juni zog sich die Polizei vom Taksim-Platz und vom Gezi-Park zurück. Seither herrschte eine friedliche Stimmung – bis gestern (11. Juni 2013), als die Polizisten wieder begonnen haben den Taksim-Platz zu räumen. Das Ende ist unklar, man hofft aber das Beste für das Land.

Was ist der eigentliche Grund, warum heute noch Tausende sich auf dem Platz versammeln?

Es fing alles mit einem Park an, aber der hauptsächliche Grund, warum Menschen heute noch auf den Straßen protestieren, sind deren Grundrechte: In der Türkei ist die Zahl eingesperrter JournalistInnen wieder angestiegen, im Index zur Pressefreiheit weltweit liegt sie 2013 nur mehr auf Platz 154 (von 179 Staaten). Dies zeigt uns, dass das Recht der freien Meinungsäußerung nicht so richtig eingehalten wird
. Sehr viele DemonstrantInnen wurden wegen des Verfassens von Tweets eingesperrt. Die Zahl wird auf rund 90 geschätzt. Deshalb traut sich nicht jede/r die Stimme zu erheben.

Noch diese Woche wurde das strikte Alkoholgesetz eingeführt. Geschäfte dürfen ab 22 Uhr keinen Alkohol mehr verkaufen. Auch auf öffentlichen Plätzen ist das Konsumieren von Alkohol verboten.

Man spricht von einer schleichenden Islamisierung derzeit hier in der Türkei. Ich möchte da nicht ins Detail gehen, aber soweit ich das mitbekommen habe, ist das leider wahr.

 

Die Autorin dieses Beitrags möchte anonym bleiben.


Das könnte dich auch interessieren