
Der Streithansl von nebenan
„Streit um Thujen-Hecke eskaliert“ titelte Die Presse vor etwa zwei Monaten, als ein Salzburger gemeinsam mit einem Deutschen, der ihn gerade besuchte, die Thujen-Hecke, die als Grenze zum Nachbargrundstück diente, schnitt. Ein Nachbar dokumentierte das Handeln der beiden mit seinem Handy, was zum Streit führte, der dann eskalierte. Fazit: Polizeieinsatz und ein Verletzter wegen einer Hecke.
Vor wenigen Wochen dann gleich der nächste Nachbarschaftsstreit: In der Obersteiermark schoss ein 62-Jähriger seinem Nachbarn durch eine Tür in den Kopf. Der Verdächtige war amtsbekannt und tyrannisierte seit Jahren die OrtsbewohnerInnen. Fazit: Polizeieinsätze und 1 Verletzter, weil… Nun ja, warum denn eigentlich? Wieso kommt es immer wieder zu Eskalationen, wenn wir doch eigentlich alle friedlich nebeneinander leben könnten?
Oft fehlt schon der Wille
Unter anderem um die Beantwortung dieser Fragen bemüht sich das Friedensbüro Graz im Projekt „Nachbarschaftsservice“ nun schon seit 1. Mai 2011. Seit damals ist viel passiert und über 200 Fälle wurden bearbeitet, wovon etwa drei Viertel positiv erledigt werden konnten, wie Jutta Dier, die Leiterin des Friedensbüros, in einem Interview mit dem Mieterschutzverband Steiermark sagte. Sie teilt diese Fälle in drei Kategorien ein: Die „normalen“ Nachbarschaftskonflikte, bei denen keine Gesprächsbasis besteht und die durch Gespräche und Sensibilisierung in der Regel gelöst werden können. Bei der zweiten Kategorie handelt es sich meist um Fälle mit einer sehr langen Geschichte, also Fälle, bei denen schon sehr viel Wasser den Bach hinuntergeflossen ist und der Wille, zu einer Lösung zu kommen, oft gar nicht mehr da ist
. Bei der dritten Kategorie liegen oft andere Probleme vor, zum Beispiel wenn Kinder nicht ausreichend betreut werden können und es darum in der Nachbarschaft auch einmal lauter wird.
Rhythmisierung der Zeit
Es gibt viele verschiedene Gründe, wieso es zu Nachbarschaftskonflikten kommt. Ein wichtiger Punkt sind auf jeden Fall die unterschiedlichen Lebenswelten, die in vielen Wohnsiedlungen auf engem Raum zusammentreffen. Für die Einen beginnt um 22:00 die Nachtruhe, für die Anderen fängt da der Abend gerade erst an. Immer wieder passiert es, dass Nachbarschaftskonflikte sich über Jahre hinweg aufbauschen, um dann zu eskalieren, wie im Beispiel des Falles in der Obersteiermark. In den meisten solcher Fällen wurde nie über das eigentliche Problem gesprochen oder nur mit Beschimpfungen aufeinander reagiert, anstatt gemeinsam nach Lösungen zu suchen.
Umfelderfassung statt klassische Mediation
Zu Beginn des Projekts ist das Team rund um Jutta Dier vom Modell der klassischen Mediation ausgegangen, wobei dabei ein/e oder mehrere Mediator(en)/Mediatorin(nen) die Konfliktlösung zwischen zwei oder mehr Parteien begleiten. Dann jedoch zeigte sich, dass eine Umfelderfassung bessere Ergebnisse bringt: Sowohl alle beteiligten Menschen als auch alle vorliegenden Probleme und deren Ursprung müssen erhoben werden. Das passiert nun, angelehnt an das Case-Management der Sozialarbeit und unter Einbeziehung der vorhandenen Unterstützungssysteme, was insgesamt zu einer langfristigen Lösung der Konflikte führt.