
Ein Greis mischt die Welt auf. Stéphane Hessel in Graz
„Ich habe eure Stadt sehr lieb!“
Bereits vor dem offiziellen Teil der Veranstaltungen wurde Hessel im Grazer Rathaus von Vizebürgermeisterin Lisa Rücker und anderen VertreterInnen der Stadtregierung empfangen und erwies der Stadt die Ehre, sich in ihr goldenes Buch einzutragen. Hier sowie auch abends am Mariahilferplatz richtete er einige eindringliche Worte an ein gespannt lauschendes Publikum. Wenn ein Mann mit einer derart bewegten Lebensgeschichte mit so viel Herzblut und Überzeugung dafür plädiert, sich zu engagieren und gegen herrschende Zustände aufzustehen, und das noch in diesem Alter, dann fällt das Zuhören auch wahrlich nicht schwer.
Und eine bewegte Lebensgeschichte hat Hessel allemal. Er wurde 1917 in Berlin geboren und ist seit 1939 französischer Staatsbürger. Nachdem er auf der Seite der französischen Résistance mitgekämpft hatte, wurde er in das KZ Buchenwald deportiert, aus welchem ihm später die Flucht gelang. Nach Kriegsende war er für die UNO tätig und auch an der Ausarbeitung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte beteiligt. Und wie man an „Empört euch!“ sehen kann, ist er heute noch kein bisschen still. Doch was kann man sich unter diesem Werk vorstellen?
„Widerstand muss normal werden!“
Im Grunde ist es ein Heftchen
. Gerade mal 30 Seiten besitzt die Streitschrift aus der Feder der deutsch-französischen Antiquität Hessel. Trotzdem zog die Veröffentlichung Wellen nach sich, mit denen niemand gerechnet hätte. Doch was steht eigentlich drin?
Wer sich Lösungsansätze für die Probleme der Menschheit erwartet, wird enttäuscht werden. Der Inhalt von „Empört euch!“ ist eigentlich schon mit dem Titel beschrieben. „Empört euch, regt euch auf! Zeigt Courage und nehmt nicht alles hin, was die Mächtigen dieser Welt fabrizieren!“
Was das von dem Gesemper anderer alter Herrschaften unterscheidet? Nun, zum einen ist Hessel durch seinen Lebenslauf eine weltweit geachtete moralische Autorität, der man zuhört, wenn sie etwas zu sagen hat. Zum anderen ist das Buch eine Art Lebenselixier für alle, die den Protest gegen Umweltzerstörung, Kriege und grenzenlosen Kapitalismus schon aufgegeben haben. Das Buch animiert dazu, aufzustehen, zu sagen: „Das ist auch meine Welt, ich kämpfe gegen diese Ungerechtigkeiten!“
Beim Interview mit dem Menschenrechts-Methusalem spürt man geradezu, welches Feuer in dem 94-Jährigen lodert. Er setzt sich unermüdlich ein für ein starkes, geeintes Europa und mehr Demokratie. Er erklärt uns auch, warum sich die Jugendlichen heutzutage nicht mehr so engagieren wie in seiner Jugend: „Damals gab es einen eindeutigen Feind, den Nationalsozialismus! Heutzutage ist die Welt viel komplizierter geworden, alles ist mit allem verstrickt
. Die Jugendlichen verstehen nicht, wo das Problem liegt, und wenn sie sich engagieren wollen, wissen sie nicht, wo sie ansetzen sollen.“
Dennoch sei es keine Lösung, sich von dem herrschenden System abzuwenden. „Revolutionen bringen nichts. Man kann das politische System nur von innen heraus ändern! Geht protestieren, aber geht auch wählen!“
Weiterführende Links:
Kleine Zeitung: Stéphane Hessel in Graz
Plattform 25: Tag der Empörung 15.10.2011